Kulturarbeit in sozialen Brennpunkten mit Jugendlichen in Frankfurt und Offenbach

FH Frankfurt, Fachbereich Sozialpädagogik
Seminar: Projekt „Kulturarbeit in einer Großstadt“
Dozentinnen: Prof. Karin Buselmeier / Gabi Mankau
Oktober 1992
Referent: Frank Doerr

Thema: Praxisbericht über den Jugendclub Lohwald (Offenbach) und das Jugendbüro Eckenheim/Cafe Skyline (Frankfurt)

1. Zur Situation in sozialen Brennpunkten

Sowohl der Lohwald als auch Eckenheim gelten als soziale Brennpunkte, die Ghettocharakter besitzen und von desolaten Familien- und Persönlichkeitsstrukturen gekennzeichnet sind. Dort aufwachsende Kinder und Jugendliche sind vielfältigen Benachteiligungen und gesellschaftlichen Vorurteilen ausgesetzt. Ihre Gefühlslagen und Handlungsmuster äußern sich besonders in Isolationsgefühlen, Schwellenängsten, Cliquenzusammenschlüssen und Aggressionsverhalten. Materielles Elend geht Hand in Hand mit sozialen Problemen: Zerfall der Familie, geringes Gesundheitsniveau, psychische Instabilität, Flucht in Tabletten-, Alkohol- oder Drogenkonsum. Die Jugendlichen sind von Arbeitslosigkeit bedroht oder schon betroffen (Eckenheim hat den zweithöchsten Anteil von Sozialhilfeempfängern in Frankfurt/Main).

Die Kinder reagieren in der Schule auf Anforderungen verweigernd, ihre Konzentrationsfähigkeit ist sehr gering, häufige Sonderschulüberweisungen erfolgen. Viele Kinder verlassen die Schule ohne Abschluss. Sie haben ein Selbstbild als Versager, ihre Beziehungen untereinander sind geprägt von Rivalitäts- und Machtkämpfen: „Die Kinder nehmen sich zwar im Augenblick soviel sie kriegen können. Verbindlichkeit in einer Beziehung entstehen jedoch nur ganz langsam und. manchmal überhaupt nicht.“

Ihre drängenden Probleme sind wachsende Schulunlust, Null-Bock, vermehrter Drogenkonsum, höheres Gewaltpotential, während sie gleichzeitig in Allmachts- und Unabhängigkeitsphantasien schweben.

Viele Jugendliche (insbesondere die Mädchen) erreichen keinen Hauptschulabschluss und landen früher oder später in Sozialhilfeabhängigkeit. Oft sind die Anforderungen der Berufsschule zu hoch und der Zwang zu Pünktlichkeit und Disziplin überfordern das individuelle Durchhaltevermögen. Für viele jugendliche Mädchen bedeutet die Geburt des ersten Kindes auch das Erreichen eines Zieles, das sie sich schon seit der Kinderzeit gesetzt haben. Es fällt den Jugendlichen schwer, für sich realisierbare Lebensperspektiven zu entwickeln. Versagensängste verursachen Unlustgefühle und Lethargie, die Jugendlichen sind labil und unbefriedigt und die Sensationen, die die Eintönigkeit durchbrechen könnten, müssen immer spektakulärer werden.

2. Die örtlichen Gegebenheiten

Eckenheim ist im Nordosten Frankfurts und besitzt eine gute Verkehrsanbindung. Das Jugendbüro Eckenheim/Cafe Skyline liegt in einem Wohnblock, auf den ersten Blick nur durch das schwarze Brett vor der Haustür von den übrigen als Wohnungen genutzten Räumlichkeiten zu unterscheiden.. Im oberen Stockwerk befinden sich Büro, Tischtennisraum, Caf“ mit Billard, Toiletten, Video- und Kommunikationsraum, im Untergeschoss Werk-, Fitness- und Musik-Räume. Alles wirkt ordentlich durchstrukturiert, eher geplant denn gewachsen.

Die Lohwald-Siedlung liegt am Rande von Offenbachs Lohwald, verhältnismäßig isoliert. Der einzige Bus, der die Siedlung anfahrt, verkehrt nur alle Stunde, das letzte Mal um 18 Uhr abends. Unmotorisiert kommt man hier abends nicht weg, sofern man keine Umwege und Fußmärsche in Kauf nimmt. Der Vorteil ist allerdings der mögliche größere Bewegungsspielraum und die größere Nähe zur Natur.

Der Jugendclub befindet sich mitten im Stadtteil, ein eingeschossiges Haus mit Flachdach, äußerlich schon eindeutig als von Jugendlichen in Besitz genommen erkennbar, da über und über mit Graffitis besprüht. Im Innern gibt es ein winziges Büro, Toiletten, einen mittlerweile von Jugendlichen und Betreuern umgebauten Proberaum (vorher zwei kleine Räume), einen großen Raum für Kommunikation, Spiele und Disco mit Tischtennisplatte und Kicker, sowie einen weiteren größeren Raum (Bislang als Ausweich-Proberaum während des Umbaus genutzt). Eindeutig zu erkennen: das ständige Improvisieren und die Beteiligung der Jugendlichen, was den Räumlichkeiten einen eigenen Flair gibt.

3. Mitarbeiter

Die Last des Jugendbüros Eckenheims liegt auf den Schultern zweier Sozialarbeiter, eine weibliche hauptamtliche Mitarbeiterin konnte bisher trotz dringendem Bedarf nicht eingestellt werden. Unterstützt werden sie durch einen Zivildienstleistenden, eine Praktikantin und eine Honorarkraft; glücklicherweise tauchen öfters auch die beiden Mitarbeiterinnen der aufsuchenden Jugendarbeit Eckenheim als zusätzliche Verstärkung auf.

Im Stellenplan des Lohwalds sind wöchentlich 154 Arbeitsstunden für hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Jahrespraktikantinnen vorgesehen, wovon derzeit (Stand Frühjahr 92) lediglich 50% besetzt sind, eine Entwicklung aufgrund von Personalwechsel und Konsolidierungsmaßnahmen städtischer Finanzen. Deshalb mussten relevante Angebote wegfallen bzw. eingeschränkt werden, was dennoch zu Bergen von Überstunden und Mitarbeiterinnenverschleiß führte, da Kernangebote fortgeführt werden. Positiv ist die gute Versorgung mit Praktikantinnen zu nennen, aufgrund der engen Verbindung des Lohwalds mit der FH Frankfurt (Projekt „Soziale Brennpunkte“ und Seminare wie „Sport und Erlebnispädagogik“).

4. Angebote

Hier sind sich die beiden Einrichtungen zumindest in den Grundzügen durchaus ähnlich. Das übliche Angebot im offenen und geschlossenen Bereich, mit möglichst starker Einbindung der Jugendlichen z.B. bei Cafe-Betrieb oder bei Umbauten. Das Cafe Skyline öffnete allerdings erst 1992 seine Pforten, während der Jugendclub Lohwald schon seit 20 Jahren ein fester Bestandteil des Stadtteillebens ist, vor allem durch die ständige Vernetzung der Gruppen untereinander bzw. mit dem Stadtteil. Aufgrund der Fülle der Lohwald-Projekte möchte ich mich auf medienpädagogische Angebote (Schwerpunkt Musik) beschränken, auch wegen des Projektthemas bzw. meines Aufgabenbereichs. Bei der näheren Beschreibung des Jugendbüros Eckenheim kommt der Schwerpunkt dem von mir mitgestalteten Caf“betrieb zu.

5. Medienpädagogik im Lohwald

Unter dem Namen „Videogeier“ finden seit 1986 Video-, Photo-, Zeitungs- und Spielfilmproduktionen statt, die in den letzten Jahren bereits mehrere Auszeichungen und Preise erhalten haben. Wichtig auch herbei die Verbindung zu der Alltagsrealität Jugendlicher und die Vernetzung mit anderen Club-Projekten wie z.B. beim Videogeier-Projekt III (1990), wo ein Videoclip zum „Arbeitslosen-Reggae“ der JuZ-Band „Akkordarbeiter“ hergestellt wurde.

Die „Akkordarbeiter“ waren auch die erste JuZ-Band. Die Planung für solch ein Musikprojekt begann 1986 aufgrund mehrfacher Nachfragen von Eltern und Jugendlichen. 1987 startete der Aufbau der musikpädagogischen Arbeit, wobei die beiden Club-Mitarbeiterinnen durch das ROCKMOBIL unterstützt werden. Es wurde die „Initiative für Kultur- und Bildungsarbeit (INKA)“ gegründet, woraus sich später das „OFF-ROCK“-Konzept entwickelte. 1988 entstand die zweite Band „Zabadak“. Beide Bands lösten sich 1990 auf und sind als Rockband im herkömmlichen. Sinn zu bezeichnen.

1990 begann das nächste Bandprojekt „Third Generation“. Bestanden die ersten Bands hauptsächlich aus älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen, so sank hier das Durchschnittsalter erheblich und die Musik tendierte eher Richtung Rap und Funk.

Von Juli 91 bis Februar 92 sollte ich nun aufgrund großer Nachfrage ein viertes Bandprojekt auf die Beine stellen. Leider scheiterte dieses Projekt hinsichtlich des Anspruchs, eine feste vierte Band dauerhaft im Club zu installieren. Mögliche Gründe: Chronische Unterbesetzung des Clubs und Ausfälle des mitbetreuenden hauptamtlichen Mitarbeiters, Ausgangssituation der Teenies (Altersgruppe der Lückekinder), die bei Null anfingen und illusionäre Vorstellungen davon hatten, was das Erlernen eines Musikinstruments angeht, gepaart mit dem Chaos und den Gegebenheiten des Jugendclubs. Beispielsweise stellte sich das Konzept eines eher offenen Raumes als unmöglich dar für einen einzigen Teamer, da die Zahl der teilnehmenden Jugendlichen zwischen 6 und 13 schwankte, gleichzeitig Grundkenntnisse in fünf verschiedenen Instrumente vermittelt werden sollten und die Teilnehmer immer wieder das zu erlernende Instrument wechselten. Nicht zu vergessen meine noch rudimentären Praxiserfahrungen als Student im dritten Semester in der Arbeit mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten.

Da ich von Anfang an dem 12jährigen Bassisten von „Third Generation“ Einzelunterricht gegeben hatte, lernte ich so auch die anderen Bandmitglieder kennen, die schon einen gewissen Standard hatten. Nachdem für mich das Scheitern des vierten Projektes feststand und der betreuende Sozialarbeiter (der vor allem für Third Generation und OFF-ROCK zuständig war) öfter ausfiel, übernahm ich diese Band mit. Da diese auch durch ROCKMOBIL betreut wurde, die ihr eigenes Konzept haben, das musikalisch unbedarften Kids aufgrund der schnellen Erfolgserlebnisse erst einmal Vorteile bringt, aber weniger von Kreativität und Selbständigkeit geprägt ist, ging ich mit den Jugendlichen einen anderen Weg. So ging es mir weniger um das Einstudieren bekannter Songs, als das Erspüren von Musik-Feeling, das Ausdrücken eigener Emotionen am Instrument. Mein vierstündiger wöchentlicher Arbeitstag im Lohwald verlief in dieser zweiten Phase dann folgendermaßen: Eine Stunde Bassunterricht mit Gianni, eine Stunde Rhythmusprobe mit Gianni und seinem Bruder Enzo (der nach einem Jahr bereits hervorragende Fortschritte als Schlagzeuger gemacht hatte) und anschließend – um Sänger und Keyboarder verstärkt – Cross-Over und Rock’n’Roll-Sessions. Verließ ich den Club in der ersten Projektphase noch ziemlich ausgelaugt, machte diese Phase sehr viel Spaß (vgl. Hörbeispiele der ersten „Third-Generation“-Single STOP IT). Der Entschluss, im Lohwald aufzuhören, beruhte auf der extrem schlechten ÖPNV-Verbindung, die es mir an manchen Abenden unmöglich machte, den Lohwald mit dem Bus zu verlassen, wenn ich den Club nicht mitten in der schönsten Musik-Improvisation auf die Minute genau verließ.

6. Jugendbüro Eckenheim/Cafe Skyline

Seit März 92 “ also dem vierten Semester – bin ich Praktikant im Jugendbüro Eckenheim. Die ersten zwei Monate führte ich eine Einzelbetreuung durch. Meine Aufgabe bestand darin, einen 18jährigen Philippinen ohne Schulabschluss, der eine heftige Drogenkarriere (Kokain, Crack) hinter sich hatte, auf den externen Hauptschulabschluss vorzubereiten. Es war seine letzte Möglichkeit, zu einem Schulabschluss zu gelangen. Alles vorhergegangen hatte er abgebrochen, selbst seine alleinstehende Mutter hatte ihn bereits aufgegeben. Nach sechs Wochen mit jeweils zehn Stunden fächerbezogener Nachhilfe sowie sozialpädagogischer Einzelbetreuung, in welcher ich ihm vor allen Dingen eine Perspektive hinsichtlich seiner Sinnsuche zu geben versuchte, musste er etwas verfrüht zur Prüfung und bestand.

Seitdem arbeite ich im Cafe Skyline im offenen Bereich während des Frühstückscafes oder abends. Dies bedeutet keinen Thekendienst (höchstens aushilfsweise), sondern sozialpädagogische Betreuung während der Öffnungszeiten. Medienpädagogisches Arbeiten war hier bislang nicht möglich, da die Hausband von ROCKMOBIL betreut wird (zusätzliche Angebote lässt der Etat nicht zu) und mit der Videogruppe bislang auch keine Möglichkeiten bestanden.

Obwohl der Lohwald das berüchtigtste Ghetto im Rhein/Maingebiet darstellt, werde ich in Eckenheim wesentlich stärker mit aggressivem Verhalten der Jugendlichen konfrontiert, was wohl auch daran liegt, dass meine Rolle nicht so klar definiert ist. Hier lässt sich also erst in einigen Monaten genaueres sagen.

7. Quellen

Kinder- und Jugendarbeit im sozialen Brennpunkt – Stadtteilprojekt Lohwald, Offenbach, 1992
Arbeitspapier „Der konzeptionelle Rahmen für das Jugendbüro Eckenheim und Cafe Skyline“, Frankfurt, 1992
Peter Spengler: Rockmusik und Jugend, Frankfurt, 1987
Fritz Hegi: Improvisation und Musiktherapie, Paderborn, 1986
Robert Anton Wilson: Ist Gott eine Droge oder Haben wir sie nur falsch verstanden, Hamburg, 1987

Frank Doerr

Dipl. Sozialpädagoge Studium an der FH Frankfurt/Main 1990-1994 Schwerpunkt kulturelle Sozialarbeit Diplomarbeit: Musikalische Gruppenimprovisation in der Sozialpädagogik - Wesen, Wirkung und Möglichkeiten. Fachhochschule Frankfurt/Main am 15.04.94. Parallel Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendarbeit (Musikprojekte im Lohwald/Offenbach, Musikprojekte und Einzelfallhilfe im Jugendbüro Eckenheim, Caritas Heddernheim, Stadt Frankfurt), Drogenprävention (Hochtaunus) und individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (CeBeF Frankfurt). Danach 1994 - 1997 Kinder- und Jugendhaus Bornheim. 1996 Lehrauftrag an der FH Frankfurt, Fb Sozialpädagogik. 2000-2002 Projektleiter Selbsthilfe im Taunus (SiT). 2002-2005 Jugendberufshilfe KuBi e.V. Ab 2001 parallel freiberuflich tätig, seit 2006 Inhaber und Geschäftsführer zweier Agenturen für Online Marketing. Fachjournalist (bdfj). 2015 Lehrauftrag an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Informationswissenschaften.

Kommentare (9) Schreibe einen Kommentar

  1. ich bin in lohwald aufgewachsen habe den jugenclup oft besucht.
    nun, wenn ich das hier lese komme ich mir wie ein projekt vor. kulturarbeit in einem sozialem brennpunkt.

    schade das es doch nix persönliches war, sehr trocken und nüchtern was hier steht…

    f.a.

  2. Tja, Faith, da es sich um ein Referat für eine wissenschaftliche Institution handelt, ist eine gewisse Nüchternheit und Sachlichkeit unumgänglich. Wobei gerade der letzte Absatz zum Lohwald durchaus persönlicher geprägt ist, was für einen Praxisbericht noch vertretbar war.

  3. Ich bin auch im Lohwald aufgewachsen! Wenn man sich so überlegt warn die projektmitarbeiter doch mit herzblut dabei! Ich fand das es ne schöne Zeit dort wa! Auch wenn ich jetzt 300Km entfernt von Offenbach wohne! Ja eigentlich wollt ich fragen obs ne möglichkeit gibt an die videos vom videogeier glaub so hieß des ranzukommen? Aber nur die die mit Lohwäldern gemacht wurden! Bitte um Antwort Goforpeace2000@hotmail.de

  4. ja was isn jetzt mit den videos?!?!?!?!?!? xD seid 2 jahren keine antwort. die hoffnung stirbt zuletzt^^

  5. nun sinds 4 Jahre xDDDD ich meld mich nochmal in 2 Jahren xDDDDDDD

  6. Hi,

    ich suche ein FSJ ab September 2012. das genau in die Richtung Jugendclub Loheim geht.
    Gibt es Bedarf? 🙂

    Liebe Grüße,
    Katharina

  7. Seid gegrüsst, ich studiere Soziologie Bachelor und beabsichtige in naher Zukunft, also in den nächsten Monaten ein Praktikum, wo ich mit Jugendlichen arbeiten kann, sie betreuen kann etc.

    wie kommt man denn da an Praktika ? Irgendwie habe ich schon bei der Stadt Frankfurt nachgefragt aber die sind ja sowas von picky und meinen man soll sich mindestens 1 Jahr vorher bewerben, wenn man ein Praktikum möchte

  8. Bin wieder da. Bitte Immer noch um Infos und oder Material zu Offenbach Lohwald.

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