Fragestellung: Sind Lebenschancen durch die soziale Herkunft „determiniert“ oder durch die individuelle Entscheidung und Anstrengung?
Referat im Rahmen eines Studiums der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Fulda.
Die sozialen Schichten werden durch die jeweilige „Sozialisation“ geprägt, daher die wichtigsten Faktoren, die zur Sozialisation führen.
Faktoren der Sozialisation: Sozioökonomische Faktoren
Zu dieser Gruppe werden alle Faktoren zusammengefasst, die aufgrund sozio-ökonomischer Bedingungen die Sozialisation beeinflussen.
Beispiel:
Das Einkommen einer Familie ist so gering, dass die Anschaffung unmittelbar lebensnotwendige Dinge z.B. die Bekleidung, nur zu Anlässen wie Geburtstagsfeiern, Weihnachten o.ä. erfolgt, bzw. möglich ist.
Im Gegensatz bei einer anderen Familie das Einkommen so hoch ist, dass das monatliche Taschengeld, das jedem Kind zur freien Verfügung steht, allein ausreichen würde, um die jährlichen Ausgaben der erstgenannten Familie für eines ihrer Kinder ausreichen würde.
Hinzu kommt, dass in der erstgenannten Familie mit einem derart niedrigen Einkommen in der Regel die Mutter zum Mitverdienst und der Vater zur Schwarzarbeit nach Feierabend und an den Wochenenden gezwungen ist. Die Erziehung liegt daher meist bei der Oma, bzw. in der Woche bei den Kindergärtnern (wem denn der Besuch ermöglicht werden kann), oder sie wird der Nachbarschaft, den Cliquen und Banden überlassen.
Zudem kommt noch, dass es einen Unterschied in der sozialen Entwicklung ausmacht, ob ein Kind seine körperliche Entwicklung schon sehr früh an Schaukel, Roller und Fahrrad schulen und eine freie unbefangene Bewegung und ein gesundes körperliches Sebstbewusstsein entwickelten kann, oder ob es dies alles nicht tun kann, da die Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Kinder aus einer besser gestellten „Schicht“ erhalten außerdem oft die Möglichkeit ihrer Fähigkeiten und Talente in Reitschulen, Mal- und Musikschulen auszubauen. Sie erhalten auch die Möglichkeit ihren Horizont, durch Reisen in fremde Länder und das damit vorhandene kennenlernen der dort lebenden Menschen zu erweitern. So entwickeln sie eine anspruchsvollen „Geschmack“ und können diesen auch oft verwirklichen.
Einem Kind aus einer Familie, wo dies alles nicht möglich ist, bleiben diese Möglichkeiten grundsätzlich verschlossen.
Dies alles stellt einen Unterschied in der sozialen Entwicklung da.
Neben dem Faktor Einkommen, spielt es aber auch eine große Rolle, ob das Kind in einer Gesellschaft lebt, die eine „Überflussgesellschaft“, eine „Mangelgesellschaft“, eine „Industriegesellschaft“ u.ä. ist.
Mögliche Entwicklungen zum Weg von einer Industrie- oder Überflussgesellschaft in eine Mangelgesellschaft kann man durch Statistiken zu Inflation und Inflationsrate nachvollziehen. Die so entstehende sinkende Kaufkraft und somit die einhergehende Entwertung des Geldes sind die markanten Mermale einer Inflation. Zudem steigen die Preise, sowohl bei Konsumgütern als auch bei den Investitionsgütern. Diese anhaltenden Preissteigerungen wirken sich auf das Kaufverhalten der Konsumenten aus, das wiederum Einfluss auf weitere ökonomische Faktoren nach sich zieht.
Faktoren der Sozialisation: Sozioökologische Faktoren
Eine große Bedeutung für die Art der Sozialisation hat der sozio-ökologische Faktor.
Hier kann man das an Hand von einigen Beispielen deutlich machen, wenn man sich vorstellt, wie groß der Unterschied ist, ob man als Kind z.B. auf einer Alm, in einem Dorf oder als Kind in einer Großstadt aufwächst.
Hier muss die Frage gestellt werden, ob die Familie in einem dicht besiedelten Gebiet mit vielen Außenkontakten, oder in einer dünn besiedelten Gebiet mit wenig Kontakten wohnt.
Ein weiterer wichtiger Unterschied bei diesem Faktor ist, ob die Wohnverhältnisse beengt oder geräumig sind. Die Wohnung in einer anerkannten und gepflegten Siedlung liegt, oder eher in einer verrufenen Gegend ist.
Hinzu kommt, das Bewohner in dünner besiedelten Gebieten (trotz der guten Verbreitung von Informationen durch die Medien), oft schlechter informiert sind, z.B. über die Möglichkeiten der weiterführenden Bildung, über die Bedeutung weiterführender Schulabschlüsse, über die Berufswahl, die Veränderungen der Zukunftsmöglichkeiten, dies kann für die spätere Entwicklung entscheident sein.
Faktoren der Sozialisation: Soziokulturelle Faktoren
Dieser Faktor ist ebenfalls ein wichtiger Punkt für die Entwicklung eines jungen Menschen. Er beinhaltet z.B. die Sitten, Bräuche, Traditionen, Religion, Weltanschauung, Ideologien, Wertorientierungen, Wissenschaften usw.
Doch eines der wichtigsten Merkmale ist die Sprache.
Ein großer Unterschied in der Entwicklung eines jungen Menschen findet hier statt, z.B. ob ein Kind in seinem Elternhaus mundartlich sprechen, oder schlecht hochdeutsch lernt, oder ob in seiner Familie ein gutes Hochdeutsch gesprochen wird. Die Familie ihm schon früh einen ausgedehnten Wortschatz mit präzisen Bezeichnungen vermittelt.
Dieser Faktor wirkt sich unmittelbar auf den Schulerfolg aus. Das das Sprachniveau auch den Schulischen und damit auch den beruflichen Erfolg stark beeinflusst, somit sich auch auf die Position in der Gesellschaft auswirkt, ist nachvollziehbar.
Schichtprägung am Beispiel einer Familie: Elterliche Erwartungen und Disziplinierungen
Als erstes wollen wir die elterlichen Erwartungen und Disziplinierungen nennen und beschreiben.
Die Pflege und Erziehung eines Kindes sind in den genannten Schichten sehr unterschiedlich. Z.B. reagieren die Mütter aus der Mittelschicht oft nachgiebiger gegenüber spontanen Bedürfnisäußerungen und Wünschen ihrer Kinder, als Mütter der Unterschicht. Wir möchten hier das Sprachverhalten, Reinlichkeit, Sexualität und Aggression nennen.
Demgegenüber steht aber eine höhere Erwartungshaltung der Eltern aus der Mittelschicht, z.B. verlangen sie sehr viel früher, das die Kinder auf sich selber achten, Verantwortung übernehmen und vor allem gute Schulleistungen erbringen.
Wenn die Kinder den Erwartungen der Eltern nicht entsprechen, so versuchen die Eltern in der Mittelschicht eine Veränderung durch Argumentation herbei zu führen, wodurch die Eltern der Unterschicht dies oft mit körperlichen Züchtigung reparieren wollen.
Die Eltern der Mittelschicht bemerken oft auch die Methoden des „Liebesentzugs“. Hiermit soll erreicht werden, das ihr Kind die Norm der elterlichen Kontrolle verinnerlicht. Hier wird also die Absicht oft härter bestraft, als die Tat selber, der Verlust der Selbstkontrolle schärfer als die bloße Handlung.
Die Eltern der Unterschicht berücksichtigen den Gesichtspunkt gar nicht, sonder bestrafen die Tat.
Die Kinder der Mittelschicht werden an die Verinnerlichung von Normen gewöhnt, während die Kinder der Unterschicht extreme Kontrolle lernen.
Beispiel zur Verdeutlichung:
Ein älteres und ein jüngeres Kind spielen mit dem Ball. Das Ältere nimmt ohne Grund dem Jüngeren den Ball weg, obwohl er ihm gehört. Das Jüngere beginnt zu weinen und tobt. In der Unterschicht würde das Ältere bestraft werden. Während in der Mittelschicht auch das Jüngere bestraft würde, da es wegen so einer Kleinigkeit die Selbstbeherrschung verloren hat.
Schichtprägung am Beispiel einer Familie: Die Erziehung zum Leistungsstreben
Das Leistungsstreben ist auch von der Erziehung der Eltern abhängig.
Man unterscheidet hier Kinder mit einem hohen Leistungsstreben (hochmotivierte) und Kinder mit niedrigen Leistungsstreben (niedrigmotivierte). Auch hier wird die Entwicklung von den Eltern beeinflusst.
Bei Kindern mit einem hohen Leistungsstreben wurde schon sehr früh Selbstständigkeit verlangt während dies bei niedrigmotivierten kaum stattfindet. Doch viel stärker auf die Motivation wirkt die Entwicklung von Selbstvertrauen.
Bei den hochmotivierten wirken auch erbrachte Leistungen viel öfters durch emotionale Belohnungen hervorgehoben, als dies bei den niedrigmotivierten stattfindet.
Optimale Voraussetzungen für die Entwicklung von Leistungsstreben sind Vertrauen, Vermittlung von Selbstvertrauen und vor allem Liebe gegenüber dem Kind.
Eine grundsätzliche Voraussetzung ist jedoch auch eine hohe Erwartung von Seitens der Eltern gegenüber den Leistungen des Kindes. Ein autoritäres Erziehungsverhalten blockiert die Entwicklung von Leistungsmotivation. Daher zeigen die Kinder aus der Mittelschicht oft ein höheres Leistunsniveau, als die Kinder aus der Unterschicht, da die wie schon genannten Erziehungsmethoden schichtgebunden sind.
Das Sprachverhalten muss in Zusammenhang der Sozialisierung, bzw. Schichtprägung auch genannt werden.
Basil Bernstein ist in Zusammenhang der Fassung des schichtspezifischen Sprachverhaltens zu nennen.
Die Forschungen Bernsteins beweisen, dass in der Mittel- und Unterschicht spezifische Sprachformen benutzt werden.
In der Mittelschicht wird das Kind, schon bevor es selbst sprechen kann, durch die Äußerungen der Mutter dazu hingeführt, das allen durch den bloßen Wechsel von Wertstellungen, eine Veränderung des Gefühlszustandes erkennbar werden kann. Es lernt also nicht nur auf Gefühlsregungen (wie umarmen) zu reagieren, sondern auch auf sprachliche, z.B. wird es durch sprachliche Äußerungen belohnt oder bestraft.
Eltern aus der Mittelschicht erklären auch frühzeitig Sachzusammenhänge, z.B. wenn ein Kind eine scharfe Schere in die Hand nimmt, bekommt es diese nicht einfach weg genommen, sondern es bekommt eventuelle Folgen erklärt (Verletzung, eigentlicher Anwendungszweck).
Das Kind lernt Objektbegriffe zu verarbeiten und einen differenzierten Gebrauch der Wörter.
Eltern der Unterschicht verändern häufig nur das Stimmvolumen oder die Betonung. Das Kind lernt also auf ganz andere sprachliche Signale zu reagieren, dies macht es ihm schwer die Bedeutung von Sachzusammenhängen zu lernen. Dies wird auch dadurch erschwert, das ein Kind in der Unterschicht Konsequenzen, die auf ein Verhalten folgen nicht erklärt bekommt.
Nach Ansicht Bernsteins ist die Herausbildung der Schichtgebundenen Form des Sprachverhaltens unabhängig von der Intelligenz, sondern wird ausschließlich durch das soziokulturelle Milieu, also durch die soziale Schicht determiniert.
Bedeutungsvoll ist hier, dass nur die Kinder der Unterschicht auf diese Form des Sprachverhaltens eingeschränkt sind und später ein niedriges Niveau der Begriffsbildung haben, als Kind der Mittelschicht.
Die Kinder der Mittelschicht dagegen beherrschen die schichtspezifische Sprache und können aber auch ohne Schwierigkeiten die Sprache der Unterschicht erlernen.
Literaturverzeichnis
Fachlexikon der sozialen Arbeit, hrsg. Vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, 4. Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln/Kohlhammer 1997
Funk Kollege 7: Erziehungswissenschaften 1, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt Main 1974
Günter Hartfield: Soziale Schichtung, 2. Auflage, Juventa Verlag München 1981
Schüler Duden, Die Psychologie, Dudenverlag Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1981