Die politische Landschaft Europas befindet sich im Umbruch. Rechtspopulistische Parteien gewinnen zunehmend an Einfluss und bauen nicht nur auf nationaler Ebene ihre Macht aus, sondern vernetzen sich auch international.
Dabei entstehen Allianzen, die die Grundlagen der Europäischen Union – wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Solidarität – zunehmend infrage stellen. Die strategische Vernetzung über Landesgrenzen hinweg ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines neuen Machtanspruchs: eines Europas der Nationalstaaten, das sich gegen Migration, die „Globalisten“ und die „Brüsseler Eliten“ stellt.
Ein Blick auf die Entwicklungen in Ländern wie Ungarn, Polen, der Slowakei, Italien, Frankreich oder Deutschland zeigt: Die nationalistische Internationale ist längst Realität. Rechtspopulistische Parteien bauen ein europaweites Netzwerk auf, das zunehmend handlungsfähig wird – insbesondere im Europäischen Parlament. Der folgende Artikel beleuchtet die zentralen Akteure, ihre Ziele, Strategien und die Auswirkungen auf die europäische Politik.
Rechtspopulismus und internationale Kooperation
Rechtspopulismus unterscheidet sich von offenem Rechtsextremismus vor allem durch seine demokratietaktische Fassade. Rechtspopulisten bedienen sich demokratischer Institutionen, um autoritäre Werte zu stärken. Gemein ist beiden Richtungen jedoch die Ideologie des ethnisch homogenen Nationalstaats, die Ablehnung liberaler Werte, eine starke Abgrenzung gegenüber Migration sowie die Herabwürdigung von Minderheiten und Medien.
International formieren sich diese Bewegungen in strukturellen Allianzen. Dazu zählen zum einen institutionelle Bündnisse im Europäischen Parlament – wie die Fraktionen „Identity and Democracy“ (ID) oder „European Conservatives and Reformists“ (ECR). Zum anderen existieren informelle Kooperationsformate: parteinahe Stiftungen, NGOs, gemeinsame Konferenzen, Medienprojekte und Thinktanks. Die Vernetzung reicht von Wahlkampfhilfe über Social-Media-Strategien bis zu rechtlichen Beratungen im Kampf gegen EU-Institutionen.
Schlüsselakteure und Allianzen
Institutionelle Fraktionen im EU-Parlament
Eine zentrale Plattform rechtspopulistischer Kooperation ist das Europäische Parlament. Hier finden sich zwei große Blöcke:
- „Identity and Democracy“ (ID): Diese Fraktion vereint Parteien wie die französische Rassemblement National (RN), die italienische Lega, die österreichische FPÖ und bis vor kurzem die AfD. Ihr Fokus liegt auf migrationsfeindlicher Politik, Islamkritik, EU-Skepsis und der Verteidigung „nationaler Identität“.
- „European Conservatives and Reformists“ (ECR): Diese Fraktion ist ideologisch breiter aufgestellt, aber ebenfalls stark nationalkonservativ geprägt. Zu ihren Mitgliedern zählen die polnische PiS, die spanische Vox und neuerdings auch Fidesz-nahe Politiker*innen. Sie agieren oft als strategischer Machtfaktor im EU-Parlament, insbesondere in Fragen der Haushalts- und Migrationspolitik.
Regionale Netzwerke in Osteuropa
Besonders in Osteuropa sind enge Allianzen zwischen rechtspopulistischen Kräften entstanden:
- Ungarn – Viktor Orbán und Fidesz: Orbán positioniert sich als ideologischer Vordenker der europäischen Rechten. Sein Netzwerk reicht von Medienkooperationen bis zu direkten Parteipartnerschaften. 2021 gründete er mit PiS und Lega ein paneuropäisches Bündnis der „patriotischen Kräfte“.
- Polen – PiS: Die nationalkonservative Partei vertritt eine ähnlich harte Linie wie Fidesz, insbesondere in Fragen der Justizreform, Medienkontrolle und Abtreibung. Sie kooperiert eng mit Fidesz und ECR-Mitgliedern.
- Slowakei – Republika und ĽSNS: Diese offen extrem rechten Parteien haben wiederholt Kontakte zu deutschen und ungarischen Rechten gesucht, etwa im Rahmen gemeinsamer Veranstaltungen oder Solidaritätskundgebungen.
Transnationale Austauschformate
Der Austausch beschränkt sich nicht auf das Parlament. Inoffizielle Konferenzen, wie die CPAC Europe oder Veranstaltungen der ungarischen Regierung in Budapest, bieten eine Bühne für Redner wie Viktor Orbán, Marine Le Pen, Giorgia Meloni oder Vertreter der US-Republikaner. Auch parteinahe Stiftungen wie das französische „Institut Iliade“ oder die „Mathias Corvinus Collegium“ in Ungarn spielen eine zentrale Rolle in der strategischen Vernetzung.
Strategien und Ziele der Netzwerke
Geteilte Narrative
Obwohl die Parteien unterschiedliche nationale Interessen vertreten, vereint sie ein gemeinsames ideologisches Gerüst:
- Anti-Migrationsrhetorik: Die Angst vor einem „großen Austausch“ oder der „Islamisierung Europas“ ist ein verbindendes Narrativ.
- Kritik an der EU: Die EU wird als „zentralistische Diktatur“ dargestellt, die nationale Souveränität untergrabe.
- Schutz der „traditionellen Familie“: Gender-Ideologie, LGBTQ+-Rechte und Feminismus werden als Feindbilder konstruiert.
Institutionelle Strategien
Rechtspopulisten nutzen ihre Positionen im EU-Parlament strategisch:
- Blockade von EU-Migrationspolitik.
- Initiativen gegen das Einstimmigkeitsprinzip bei Sanktionen.
- Vetoandrohungen bei der Vergabe von Fördergeldern.
Hinzu kommen Social-Media-Kampagnen, die transnational abgestimmt werden. Ein Beispiel ist die koordinierte Desinformationskampagne gegen den EU-Migrationspakt 2023, bei dem Parteien wie AfD, RN und Fidesz ähnliche Inhalte mit identischem Wording verbreiteten.
Profil ausgewählter Staaten
Ungarn
Viktor Orbáns Ungarn gilt als Blaupause des illiberalen Rechtsstaatsabbaus. Fidesz kontrolliert Medien, Justiz und Zivilgesellschaft weitgehend. Orbán gibt sich gern als Anführer eines alternativen Europas. Seine Rede bei der CPAC 2023 bekräftigte: „Das nächste Jahrzehnt gehört den Nationalisten.“
Polen
Die PiS setzte in ihrer Regierungszeit (2015–2023) auf Justizreform, Medienkonzentration und eine Anti-LGBT-Politik. Ihre Zusammenarbeit mit Fidesz war eng, insbesondere im Kampf gegen EU-Rechtsstaatsmechanismen. Nach der Wahlniederlage 2023 versuchen PiS-nahe Kräfte, ihre Allianzen in der ECR neu zu beleben.
Italien und Frankreich
Mit Giorgia Meloni als Regierungschefin in Italien und dem RN als stärkste Kraft bei den Europawahlen in Frankreich 2024 sind zwei zentrale Länder Europas fest in rechter Hand. Meloni inszeniert sich als „gemäßigte Rechte“, doch ihr politisches Umfeld agiert offen nationalistisch. Marine Le Pen strebt die Umformung der EU von innen heraus an.
Deutschland
Die AfD war bis 2024 Mitglied der ID-Fraktion. Nach Enthüllungen über rechtsextreme Verbindungen trat sie auf Druck anderer Fraktionen aus. Trotzdem bleibt sie Teil des ideologischen Netzwerks. Besonders eng ist ihre Verbindung zu FPÖ, RN und ungarischen Thinktanks.
Einfluss auf die EU-Politik
Rechtspopulistische Allianzen wirken sich konkret auf EU-Entscheidungen aus:
- Verzögerung von Asylreformen und Migrationsabkommen.
- Blockaden bei der Mittelvergabe an Länder mit liberalen Regierungen.
- Unterwanderung der Rechtsstaatsmechanismen durch Vetopolitik.
So verhinderten Fidesz und PiS jahrelang Sanktionen gegen Ungarn wegen Verstößen gegen Grundwerte. Laut Politikwissenschaftler Ivan Krastev ist dies „die effektivste Strategie zur Sabotage der europäischen Demokratie – mit legalen Mitteln“.
Demokratische Gegenstrategien
Europäische Mitte- und Linksbündnisse wie Renew Europe oder die Sozialdemokraten versuchen, durch gemeinsame Positionierungen gegenzusteuern. Die Umsetzung des EU-Rechtsstaatsmechanismus oder die Einschränkung parteinaher Förderung sind Instrumente der Reaktion.
Gleichzeitig setzen NGOs und Bürgerbewegungen auf Bildungsarbeit, Gegenöffentlichkeit und rechtliche Auseinandersetzungen. In Polen und der Slowakei führten solche zivilgesellschaftlichen Allianzen bereits zu Wahlniederlagen der extremen Rechten.
Ausblick
Internationale Allianzen rechtspopulistischer Parteien sind längst keine Randerscheinung mehr. Sie agieren koordiniert, effektiv und nutzen demokratische Mechanismen zur Delegitimierung liberaler Strukturen. Die nächsten Europawahlen 2029 könnten ein weiterer Wendepunkt werden – hin zu einem Europa, das nicht mehr auf gemeinsamen Werten, sondern auf Abschottung, Nationalismus und Exklusion beruht.
Gleichzeitig gibt es Hoffnung: Überall formieren sich Gegenkräfte. Ob in Polen, Spanien oder Frankreich – demokratische Bewegungen haben gezeigt, dass der Aufstieg der Rechten kein Naturgesetz ist. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, nicht nur reaktiv zu handeln, sondern aktiv für ein solidarisches und freiheitliches Europa zu streiten.