Wenn das System wankt
Das politische System der Vereinigten Staaten steht vor einer potenziellen Zäsur. Seit über 160 Jahren bestimmen Demokraten und Republikaner nahezu exklusiv die Geschicke des Landes. Doch nun drängt eine neue politische Kraft auf die Bühne: die von Tech-Milliardär Elon Musk gegründete „America Party“. Die Reaktionen auf diesen Schritt reichen von Euphorie bis Sorge. Während manche in ihr die lang ersehnte Alternative zum überkommenen Parteiensystem sehen, warnen andere vor einer weiteren Radikalisierung des politischen Diskurses und sogar vor Gewalt.
„Die Mehrheit der Amerikaner fühlt sich von beiden großen Parteien nicht mehr vertreten“, schreibt die Washington Post in einer aktuellen Analyse. Laut Umfragen des Pew Research Center identifizieren sich über 40 % der US-Bürger als „Unabhängige“ – mehr als je zuvor. Elon Musk will diese Lücke füllen – mit einer Partei, die sich laut eigenen Angaben „pragmatisch, wirtschaftlich rational und technologisch visionär“ positioniert. Doch kann eine solche Initiative tatsächlich das monolithische Zweiparteiensystem der USA erschüttern?
Das US-Zweiparteiensystem: Geschichte und Hürden
Das amerikanische Wahlsystem basiert auf dem Prinzip „The winner takes it all“. In jedem Bundesstaat und jedem Distrikt gilt: Wer die Mehrheit der Stimmen erhält, bekommt das gesamte Mandat. Dieses System bevorzugt große, etablierte Parteien und macht es Drittparteien nahezu unmöglich, sich langfristig durchzusetzen. Hinzu kommen strenge Regeln für den Zugang zu Wahlzetteln (ballot access), massive Anforderungen an Spenden, Infrastruktur und Medienpräsenz sowie eine strukturelle Trägheit, die durch jahrzehntelange politische Gewohnheiten verstärkt wird.
Versuche, das System zu durchbrechen, gab es viele – doch sie scheiterten allesamt am System selbst. Ross Perots „Reform Party“ erreichte 1992 beachtliche 19 % der Stimmen, ohne einen einzigen Wahlsieg zu erzielen. Ralph Nader und Jill Stein störten in den 2000er Jahren als „Spoiler“, ohne je politische Verantwortung übernehmen zu können. Derzeit versuchen Gruppen wie „No Labels“ oder die „Forward Party“ von Andrew Yang, auf lokaler Ebene Fuß zu fassen – mit bisher bescheidenem Erfolg.
Elon Musk und die „America Party“
Gründung und politische Motivation
Am 6. Juli 2025 reichte Elon Musk bei der US-Wahlkommission FEC die Gründungsunterlagen für die „America Party“ ein. Auf der Plattform X (ehemals Twitter) schrieb er: „Es ist Zeit für ein Update des politischen Betriebssystems Amerikas.“ Laut eigenen Angaben will er „Werte des gesunden Menschenverstands, der Innovationskraft und des fiskalischen Verantwortungsbewusstseins“ in die amerikanische Politik zurückbringen.
Hintergrund für die Gründung ist nicht nur Musks offene Enttäuschung über Donald Trump, den er im Vorfeld der Wahl 2020 noch unterstützt hatte. Auch die Demokraten gelten ihm inzwischen als „inkompetent, überbürokratisiert und realitätsfern“. In einem Interview mit Fox News sagte Musk: „Wir können nicht weiterhin Schuldenberge anhäufen und so tun, als sei Technologie unser Feind. Amerika braucht eine Partei, die versteht, wie die Welt von morgen funktioniert.“
Strategie: Zielgerichtete Disruption
Statt auf einen aussichtslosen Präsidentschaftswahlkampf zu setzen, konzentriert sich die „America Party“ auf das US-Parlament. Ziel ist es, bei den Midterms 2026 zwei bis drei Sitze im Senat und bis zu zehn Mandate im Repräsentantenhaus zu erobern. Laut Reuters liegt der Fokus auf Distrikten mit hohem Anteil unabhängiger Wähler sowie technologieaffinen Metropolregionen wie Austin, Seattle und Miami.
Eine zentrale Rolle spielt dabei Musks Plattform X, die er als „digitales Sprachrohr“ der neuen Partei nutzen will. Zudem steht ein Super-PAC mit mutmaßlich über einer Milliarde US-Dollar Startkapital bereit. Insider berichten, dass Strategen der ehemaligen Obama- und Trump-Kampagnen beteiligt seien. Auch der KI-getriebene Wahlkampf soll erstmals auf breiter Front erprobt werden.
Chancen einer dritten Kraft
Mit seinem Milliardenvermögen, seiner Prominenz und seinem technologischen Know-how verfügt Musk über Ressourcen, die bisherigen Drittparteien fehlten. Der politische Analyst Michael Beschloss nennt die „America Party“ deshalb „den ersten echten systemischen Angriff auf das Zweiparteiensystem seit 1860“.
Vor allem junge Wähler, Unternehmer und digital affine Mittelschichtswähler könnten Musks Botschaft annehmen. Eine Umfrage von Morning Consult ergab, dass 28 % der befragten Amerikaner sich vorstellen könnten, eine Partei unter der Führung Musks zu unterstützen. Besonders hoch ist die Zustimmung in Kalifornien und Texas.
Der Politikwissenschaftler Larry Sabato von der University of Virginia warnt jedoch vor zu viel Optimismus: „Musk hat Reichweite, aber keine Partei-Infrastruktur. Und Wahlen gewinnt man nicht mit Tweets, sondern mit Haustürbesuchen, Bodenarbeit und Stimmenauszählung.“
Herausforderungen und Widerstände
Die Hürden für die America Party sind gewaltig. In vielen Bundesstaaten sind über 50.000 Unterschriften erforderlich, um überhaupt auf den Wahlzettel zu kommen. In anderen drohen Klagen wegen des Parteinamens – der Begriff „America“ ist politisch bereits vielfach besetzt. Auch von konservativer Seite droht Gegenwind: Trump-nahe Medien werfen Musk „politische Spaltung und Eitelkeit“ vor.
Doch auch von links kommt Kritik. Die progressive Kolumnistin Alexandra Ocasio-Cortez bezeichnete die America Party auf X als „eine Technokraten-Fassade ohne soziale Agenda“. Bürgerrechtsgruppen warnen vor einem weiteren Auseinanderdriften der Gesellschaft durch eine Partei, die sich bewusst außerhalb klassischer Interessengruppen platziert.
Besonders brisant ist die Diskussion um potenzielle politische Gewalt. In einem Artikel auf t-online.de warnt der Sicherheitsexperte Brian Klaas: „Wenn eine neue politische Kraft mitten im Wahlkampf mit disruptivem Potenzial auftaucht, besteht die reale Gefahr, dass Fanatiker dies als Legitimation für Gewaltakte verstehen.“
Vergleich mit früheren Drittparteien
Der vielleicht naheliegendste historische Vergleich ist die „Reform Party“ von Ross Perot, die 1992 für einen Moment das politische Establishment ins Wanken brachte. Perot erhielt fast 20 % der Stimmen, gewann aber keinen einzigen Bundesstaat. Auch spätere Versuche wie Ralph Naders „Green Party“ oder die „Forward Party“ von Andrew Yang konnten strukturell keine Basis aufbauen.
Musk versucht nun, aus diesen Fehlern zu lernen. Sein Team setzt nicht auf breite Ideologie, sondern auf pragmatische Einzelforderungen – etwa Steuervereinfachung, eine KI-freundliche Wirtschaftspolitik oder Infrastrukturreformen. Diese Modularität macht die America Party für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen anschlussfähig – zumindest auf dem Papier.
Ökonomische Implikationen und Kritik von Investoren
Musks politische Ambitionen rufen auch die Finanzwelt auf den Plan. Die Tesla-Aktie reagierte unmittelbar nach der Gründungsankündigung mit einem Kursrückgang von 3,5 %. Investoren äußern Bedenken, dass sich Musk zu stark politisch engagiert und dadurch die unternehmerischen Kernthemen vernachlässigt.
Ein Analyst von Bernstein Research kommentierte: „Es ist schwer, Tesla als rein wirtschaftliches Unternehmen zu bewerten, wenn sein CEO zeitgleich als Parteigründer politische Lager spaltet.“ In einem Analysten-Call mit Investoren konterte Musk laut Fox Business scharf: „Wenn Ihnen meine politische Meinung nicht passt, verkaufen Sie Ihre Anteile – aber erzählen Sie mir nicht, wie ich zu leben habe.“
Ausblick: Disruption oder Illusion?
Die America Party ist mehr als ein PR-Gag – sie ist Ausdruck einer tiefen Systemkrise. Dass ein Unternehmer wie Musk ernsthaft daran denkt, eine eigene Partei zu gründen und sich aktiv in die Gesetzgebung einzumischen, sagt viel über das Misstrauen gegenüber dem Status quo aus.
Ob diese Bewegung nachhaltig wirkt oder nach kurzer Zeit verpufft, hängt von vielen Faktoren ab: dem organisatorischen Aufbau, der rechtlichen Anerkennung, der Mobilisierung an der Basis und der Fähigkeit, Wähler zu überzeugen, ohne das bestehende System ins Chaos zu stürzen. Denn eines ist ebenso sicher wie bedenklich: Jede neue politische Kraft, die nicht integrierend, sondern spaltend wirkt, kann der Demokratie genauso schaden wie ein monolithisches System.
Katalysator für ein neues politisches Denken?
Elon Musk bringt mit der America Party Geld, Reichweite und technologischen Pioniergeist in die US-Politik. Das alleine reicht aber nicht, um das Zweiparteiensystem zu stürzen. Historische Beispiele zeigen, dass dauerhafte politische Veränderungen institutionelle Verankerung und breite gesellschaftliche Allianz brauchen – keine One-Man-Show.
Doch auch wenn Musks Projekt scheitern sollte, ist seine Botschaft unüberhörbar: Ein wachsender Teil der amerikanischen Gesellschaft will mehr als nur die Wahl zwischen „Rot“ und „Blau“. Die America Party könnte deshalb – ob erfolgreich oder nicht – als Katalysator für ein neues politisches Denken wirken. Die Zukunft des US-Parteiengefüges ist damit offener, aber auch konfliktgeladener denn je.