Herero Nama Genozid

Deutschlands Vernichtungskrieg gegen Herero und Nama – Vom Kolonialkrieg zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts

Zwischen 1904 und 1908 führte das Deutsche Kaiserreich im heutigen Namibia einen grausamen Vernichtungskrieg gegen die indigenen Völker der Herero und Nama.

Der Konflikt gilt heute als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Jahrzehntelang wurde dieses Kapitel deutscher Kolonialgeschichte verdrängt, ignoriert oder verharmlost. Erst im 21. Jahrhundert begann eine ernsthafte politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Ausmaß des Verbrechens. Der Krieg gegen Herero und Nama steht exemplarisch für die brutale Realität kolonialer Herrschaft und die Notwendigkeit historischer Aufarbeitung.

Vorgeschichte: Unterdrückung und Landraub in Deutsch-Südwestafrika

Deutsch-Südwestafrika wurde 1884 zur offiziellen Kolonie des Deutschen Kaiserreichs. Schon bald etablierten deutsche Siedler und Kolonialverwalter eine Politik, die auf wirtschaftlicher Ausbeutung, rassistischer Diskriminierung und Landenteignung beruhte. Die Herero, ein Hirtenvolk, und die Nama, vor allem als Krieger und Viehzüchter bekannt, verloren große Teile ihres traditionellen Lebensraums. Weiße Siedler eigneten sich fruchtbares Land an, während die afrikanische Bevölkerung zu schlecht bezahlter oder Zwangsarbeit auf Farmen und in Minen gezwungen wurde.

„Die Gewalt war allgegenwärtig – nicht nur physisch, sondern strukturell“, erklärt der Historiker Jürgen Zimmerer. Die sozialen Spannungen eskalierten zunehmend, auch durch betrügerische Handelspraktiken, Schuldenfallen und die völlige Missachtung indigener Lebensweisen. Als Reaktion darauf erhoben sich die Herero am 12. Januar 1904 gegen die Kolonialmacht.

Der Aufstand und die Eskalation zum Vernichtungskrieg

Der Herero-Aufstand begann koordiniert im zentralen Hochland. Unter der Führung von Samuel Maharero gelang es den Rebellen zunächst, deutsche Stellungen zu attackieren und größere Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Die deutsche Kolonialverwaltung war überrascht – die Schutztruppe unter Gouverneur Theodor Leutwein erwies sich als unzureichend gerüstet.

Im Mai 1904 wurde Generalleutnant Lothar von Trotha zum Oberbefehlshaber ernannt. Mit seiner Ankunft wandelte sich der Kolonialkrieg in einen systematisch geplanten Vernichtungskrieg. Von Trotha erklärte offen: „Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss.“ Sein Ziel war die vollständige Unterwerfung oder Auslöschung der Herero.

Nach der Schlacht am Waterberg im August 1904 flohen Tausende Herero in die wasserarme Omaheke-Wüste. Anstatt die Flüchtenden zu verfolgen und gefangen zu nehmen, ließ von Trotha Wasserstellen abriegeln und die Menschen absichtlich verdursten.

Der Vernichtungsbefehl

Am 2. Oktober 1904 erließ von Trotha seinen berüchtigten „Vernichtungsbefehl“, in dem es heißt:

„Das Volk der Herero muss das Land verlassen. Tut es dies nicht, so werde ich sie mit dem Groot Rohr (Artillerie) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero erschossen, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh.“

Dieses schriftlich fixierte Dokument gilt als Beweismittel für den Völkermordcharakter des Krieges. Erst im Dezember 1904 wurde der Befehl auf Druck der Reichsregierung offiziell aufgehoben – da war der größte Teil der Herero-Bevölkerung bereits tot oder interniert.

Systematische Vernichtung: Wüste, Lager, Zwangsarbeit

Überlebende Herero und später auch Nama, die sich 1905 erhoben, wurden in Konzentrationslagern interniert. Besonders grausam war das Lager auf der Haifischinsel bei Lüderitz, wo rund 70 % der Insassen starben. Zwangsarbeit, Hunger, Misshandlungen und Krankheiten forderten Tausende Opfer. In Swakopmund und Windhuk fanden medizinische Experimente an Gefangenen statt. Deutsche Ärzte, darunter auch Mitarbeiter des renommierten Robert Koch-Instituts, führten grausame „Forschung“ an lebenden Menschen durch.

Ein Überlebender des Lagers Swakopmund, Jakob Marengo, schilderte später:

„Wir waren keine Menschen in ihren Augen. Wir waren Material. Wenn einer starb, wurde er ersetzt. Niemand zählte die Toten.“

Die deutschen Truppen gingen mit brutaler Effizienz vor – viele Historiker sprechen deshalb vom Prototyp moderner Vernichtungspolitik. Die Opferzahlen sind erschütternd: Von etwa 80 000 Herero überlebten nur 15 000; von den 20 000 Nama nur rund die Hälfte.

Einordnung als Genozid

Die historische Forschung ist sich heute weitgehend einig: Die Verbrechen in Deutsch-Südwestafrika erfüllen alle Kriterien des Völkermords. Die Historikerin Gesine Krüger betont: „Die Absicht, ein Volk als solches zu vernichten, war deutlich formuliert und wurde militärisch exekutiert.“ Auch die Vereinten Nationen haben die Taten seit den 1980er Jahren als Genozid gewertet.

Lange jedoch wurde dieser Begriff in der deutschen Öffentlichkeit vermieden. Offizielle Stellen sprachen bis weit ins 21. Jahrhundert hinein lediglich von „Kolonialkrieg“ oder „massivem Unrecht“. Erst der gesellschaftliche Druck, vor allem durch zivilgesellschaftliche Organisationen, führte zur Anerkennung des Genozids.

Aufarbeitung und politische Verantwortung

Erst 2004 – 100 Jahre nach Beginn des Herero-Aufstandes – äußerte sich eine deutsche Ministerin erstmals mit Bedauern. Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärte in Okakarara:

„Wir bitten um Vergebung für die Verbrechen, die in Ihrem Land im Namen Deutschlands begangen wurden.“

Diese Worte galten vielen als historischer Durchbruch, wenngleich sie politisch nicht bindend waren. In den folgenden Jahren kam es zur Rückgabe menschlicher Überreste aus deutschen Universitäten und Sammlungen, darunter 2011 über 20 Schädel aus dem Berliner Charité-Institut. Auch Kulturgüter wie die Bibel und Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi wurden zurückgeführt.

Verhandlungen und politische Einigung

Zwischen 2015 und 2021 verhandelten Deutschland und Namibia über eine formale Anerkennung und Entschädigung. Im Mai 2021 verkündete Außenminister Heiko Maas:

„Aus heutiger Perspektive bezeichnen wir die Ereignisse aus der deutschen Kolonialzeit als das, was sie waren: ein Völkermord.“

Deutschland sagte Namibia finanzielle Hilfen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre zu – jedoch nicht in Form von Reparationen, sondern für Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte. Viele Herero- und Nama-Vertreter kritisierten diese Regelung als intransparent und unzureichend. Die namibische Aktivistin Esther Muinjangue warf der deutschen Regierung vor, „über die Köpfe der Opfer hinweg“ zu verhandeln.

Gedenken, Tourismus und wirtschaftliche Interessen

Ein aktueller Beitrag von t-online beleuchtet die ambivalente Rolle der Gedenkstätten in Namibia: Orte wie Swakopmund oder Lüderitz werden zugleich als Tourismusziele und Erinnerungsorte vermarktet. Historische Konzentrationslager dienen als Fotomotive für deutsche Besucher, während Nachkommen der Opfer oft wirtschaftlich abgehängt bleiben.

„Es ist schwer, an einem Ort zu trauern, der zugleich als Kulisse für Abenteuerurlaub dient“, kritisiert der Historiker Reinhart Kößler. Zwar gibt es lokale Initiativen, die Erinnerungsarbeit leisten, doch fehlt es oft an staatlicher Unterstützung.

Ausblick: Erinnerung und Verantwortung

Die Aufarbeitung des Völkermords an Herero und Nama steht exemplarisch für die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe. Noch immer sind viele Fragen offen – etwa nach juristischer Verantwortung, individuellen Entschädigungen und einem echten Dialog mit den Nachkommen der Opfer.

Am 28. Mai 2025 führte Namibia erstmals einen nationalen Genozid-Gedenktag ein. Deutschland beteiligte sich mit einer Delegation, doch die Kritik an symbolischer Politik ohne tiefere Wirkung bleibt bestehen.

Die deutsche Erinnerungskultur steht am Scheideweg: Wer Kolonialverbrechen ernsthaft anerkennen will, muss über bloße Gesten hinausgehen. Eine neue Generation fordert einen selbstkritischen Umgang mit der eigenen Geschichte – nicht nur in Namibia, sondern auch in deutschen Schulen, Museen und Parlamenten.

Denn wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2023 betonte:

„Ohne die Anerkennung kolonialer Gewalt bleibt unsere Erinnerung unvollständig – und unsere Verantwortung ungelebt.“

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