Dunning-Kruger-Effekt

Der Dunning-Kruger-Effekt und aktuelle Beispiele aus der Politik

Wenn Selbstüberschätzung zur Gefahr wird

In einer Welt voller komplexer Herausforderungen – Klimawandel, geopolitische Krisen, Digitalisierung – sind politische Entscheidungsträger gefragt, die über Fachwissen, Weitblick und Demut verfügen. Doch nicht selten scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Personen mit geringer Kompetenz überschätzen sich maßlos und treffen folgenschwere Entscheidungen. Dieses Phänomen wird in der Psychologie als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet – ein Konzept, das besonders in der politischen Arena von erschreckender Aktualität ist.

Was ist der Dunning-Kruger-Effekt?

Der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen mit geringer Fähigkeit in einem bestimmten Bereich ihre Kompetenz massiv überschätzen – schlichtweg, weil ihnen das Wissen fehlt, um ihre eigenen Fehler zu erkennen. Gleichzeitig neigen kompetente Menschen dazu, sich zu unterschätzen, da sie sich ihrer Wissenslücken bewusst sind.

Das Konzept geht zurück auf eine 1999 veröffentlichte Studie der Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger von der Cornell University. In einem berühmten Experiment ließen sie Probanden Aufgaben zu Grammatik, Logik und Humor lösen. Jene, die am schlechtesten abschnitten, hielten sich für besonders kompetent – ein paradoxer Effekt, der sich bis heute beobachten lässt, nicht zuletzt in der Politik.

Psychologische Grundlage: Warum inkompetente Menschen ihre Inkompetenz nicht erkennen

„Wenn man inkompetent ist, kann man nicht wissen, dass man inkompetent ist“, erklärte David Dunning einmal. Die Ursache: Fehlendes Wissen bedeutet auch ein fehlendes Verständnis dafür, wie viel Wissen eigentlich erforderlich wäre. Daraus entsteht ein Teufelskreis aus Unwissen und Überheblichkeit. Gleichzeitig hemmt das sogenannte „Impostor-Syndrom“ kompetente Personen – sie zweifeln an sich selbst, obwohl sie über Expertise verfügen.

Beispiel Donald Trump: Ein Prototyp des Dunning-Kruger-Effekts?

Kaum ein Politiker wird so häufig mit dem Dunning-Kruger-Effekt in Verbindung gebracht wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump. Der „Tagesanbruch“-Kommentar von t-online analysiert Trumps Verhalten unter psychologischen Gesichtspunkten. Demnach zeigt Trump „eine fast schon atemberaubende Selbstsicherheit“, auch in Bereichen, in denen er nachweislich über kein Expertenwissen verfügt.

Ein Beispiel: Während der Corona-Pandemie schlug Trump öffentlich vor, Desinfektionsmittel zu injizieren, um das Virus zu bekämpfen – ein Vorschlag, den selbst medizinische Laien als gefährlich und absurd erkennen konnten. Dennoch präsentierte Trump die Idee mit voller Überzeugung.

Sein Verhalten sei Ausdruck einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur, die durch eine „Überzeugung von der eigenen Genialität“ gekennzeichnet ist, schreibt t-online. Doch hinter dieser Fassade könne, so wird spekuliert, Unsicherheit und die Angst vor dem Entlarvtwerden stecken – klassische Begleiterscheinungen des Dunning-Kruger-Effekts.

Populismus und einfache Lösungen: Die Dunning-Kruger-Dynamik weltweit

Auch jenseits der USA ist der Effekt sichtbar. In vielen Ländern erleben populistische Bewegungen einen Aufschwung. Ihre Vertreter bieten einfache Antworten auf komplexe Fragen – sei es in der Wirtschaft, der Migration oder der Klimapolitik. Diese Simplifizierung geht oft mit einer massiven Selbstüberschätzung einher.

Beispielsweise versprach der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, den „tiefen Staat“ zu besiegen, leugnete aber gleichzeitig den menschengemachten Klimawandel und ignorierte wissenschaftliche Empfehlungen zur Pandemie-Eindämmung. Ähnliches gilt für Politiker wie Viktor Orbán (Ungarn) oder Matteo Salvini (Italien), die mit pointierten Aussagen Expertise durch Rhetorik ersetzen.

Klimapolitik: Wenn Halbwissen wissenschaftliche Erkenntnisse verdrängt

In der Klimadebatte ist der Dunning-Kruger-Effekt besonders präsent. Viele Menschen, darunter auch Politiker, glauben, sie verstünden die komplexen Zusammenhänge des globalen Klimasystems besser als führende Klimawissenschaftler. Ein häufiges Argument: „Es hat doch schon immer Klimaschwankungen gegeben.“

Besonders gefährlich wird es, wenn solche Aussagen in politische Programme einfließen. So argumentieren Parteien wie die AfD regelmäßig mit wissenschaftlich widerlegten Thesen und relativieren den menschengemachten Klimawandel. Ihre Vertreter wirken dabei oft überzeugter als echte Fachleute – ein typischer Ausdruck der Selbstüberschätzung.

Beispiele aus der deutschen Politik

Auch in der deutschen Politik gibt es Beispiele, bei denen der Dunning-Kruger-Effekt erkennbar scheint – also Fälle, in denen Politiker sich in Fachgebieten besonders sicher äußern, ohne über die dafür notwendige Expertise zu verfügen. Ein oft genanntes Beispiel ist Hans-Georg Maaßen (ehemals CDU, später Werteunion). Der frühere Verfassungsschutzpräsident gibt regelmäßig Einschätzungen zu Themen wie Klimawissenschaft, Genderforschung oder Medienpolitik ab, die stark vereinfachend oder wissenschaftlich unhaltbar sind. Seine teils drastischen Aussagen stehen in krassem Gegensatz zu den differenzierten Positionen der jeweiligen Fachdisziplinen.

Auch Sahra Wagenknecht (BSW, ehemals Linke) präsentiert sich in vielen Politikfeldern als Generalistin. In Interviews äußert sie sich mit großer Überzeugung sowohl zur Pandemiebekämpfung als auch zur Energiepolitik oder Außenpolitik, ohne entsprechende wissenschaftliche Fundierung. Gerade bei der Corona-Thematik wurde sie wiederholt von Experten für selektive Argumentation kritisiert. Ihre hohe rhetorische Sicherheit bei gleichzeitig fragwürdiger faktischer Grundlage wurde öffentlich und medial vielfach thematisiert.

Ein Beispiel aus den Reihen der Grünen ist Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen (parteilos seit seinem Austritt). Palmer äußert sich regelmäßig mit großem Selbstbewusstsein zu Migrationspolitik und gesellschaftlichen Debatten – oft in deutlichem Widerspruch zu wissenschaftlich fundierten Positionen oder zu empirischen Studien etwa zu Diskriminierung oder Integration. Sein Hang zur Vereinfachung und Polarisierung gilt vielen Beobachtern als Ausdruck einer gefährlichen Selbstüberschätzung.

Diese Beispiele zeigen: Der Dunning-Kruger-Effekt ist parteiübergreifend und betrifft sowohl etablierte als auch neue politische Kräfte – unabhängig von Ideologie oder programmatischer Ausrichtung. Entscheidend ist nicht die Parteizugehörigkeit, sondern das Verhältnis zwischen Selbstsicherheit und tatsächlicher Kompetenz.

Wie der Effekt politische Prozesse verzerrt

Wenn Personen mit wenig Fachwissen politische Entscheidungen treffen, steigt die Gefahr falscher Weichenstellungen. Wirtschaftliche Folgen von Zöllen, geopolitische Folgen von außenpolitischer Naivität oder energiepolitische Fehlentscheidungen können immense Konsequenzen haben.

Zudem untergräbt der Effekt das Vertrauen in Institutionen. Wenn inkompetente Akteure ihre Position durch Lautstärke und Selbstbewusstsein sichern, während echte Fachleute still bleiben, entsteht ein Klima der Polarisierung und Desinformation.

Was tun gegen Selbstüberschätzung in der Politik?

Ein erster Schritt wäre die Förderung von Demut und Reflexion – Eigenschaften, die in der heutigen politischen Inszenierungskultur rar geworden sind. Regelmäßige, externe Evaluation politischer Entscheidungen könnte helfen, blinde Flecken sichtbar zu machen.

Darüber hinaus braucht es stärkere institutionelle Strukturen: wissenschaftliche Beiräte, beratende Gremien und klare Trennung zwischen Meinungsäußerung und Expertise. Medien haben eine Schlüsselrolle, indem sie nicht nur Reichweite, sondern auch fachliche Tiefe fördern.

Bildung – auch politische und mediale – kann zudem Bürgerinnen und Bürger befähigen, zwischen echter Kompetenz und bloßer Rhetorik zu unterscheiden. Denn ein informierter Wähler ist der natürliche Gegenspieler des Dunning-Kruger-Effekts in der Demokratie.

Fazit: Selbstüberschätzung ist kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem

Der Dunning-Kruger-Effekt ist mehr als ein psychologisches Kuriosum. In der Politik kann er reale Schäden verursachen – von Pandemiebekämpfung bis Klimapolitik. Ob Donald Trump, Jair Bolsonaro, Annalena Baerbock oder diverse Corona-Leugner: Die Geschichte der Selbstüberschätzung wiederholt sich in immer neuen Variationen.

Umso wichtiger ist es, dass politische Akteure sich selbst kritisch hinterfragen und externe Expertise nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung begreifen. Demokratie lebt vom Diskurs – aber auch von der Fähigkeit zur Einsicht. Nur wer erkennt, was er nicht weiß, kann gute Entscheidungen für viele treffen.

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