Deutsche Rechtsextreme im Kampf gegen Putin – Ein ideologisches Paradox
Rechte gegen Russland?
Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 haben sich viele politische Lager in Europa positioniert. Besonders überraschend ist die Haltung eines Teils der deutschen rechtsextremen Szene: Während zahlreiche Neonazis und Rechtsradikale Wladimir Putin verehren, schließen sich andere aktiv dem Kampf gegen ihn an – sogar bewaffnet und an der Front. Ein scheinbares Paradoxon, das auf den zweiten Blick tiefere ideologische Wurzeln offenbart. Der Fall von Leon B. aus Mecklenburg-Vorpommern ist einer von mehreren, die Licht auf diese Bewegung werfen.
Wer kämpft da – und warum?
Das Deutsche Freiwilligenkorps (DFK)
Einer der zentralen Akteure ist das sogenannte „Deutsche Freiwilligenkorps“ (DFK), eine paramilitärisch strukturierte Einheit, die sich aus deutschen Freiwilligen zusammensetzt – viele von ihnen mit rechtsextremer Vergangenheit. Gegründet wurde das DFK im Jahr 2022, als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg. Es rekrutiert Kämpfer aus ganz Deutschland und ist eng mit ähnlichen Gruppierungen aus Osteuropa vernetzt. Der ukrainische Nationalismus fungiert für viele Mitglieder als Projektionsfläche für einen rassistisch aufgeladenen „europäischen Befreiungskampf“.
Leon B. – Ein Neonazi an der Front
Ein prominenter Fall ist Leon B., ein 26-jähriger Mann aus Mecklenburg-Vorpommern. Fotos zeigen ihn mit Sturmgewehr und taktischer Ausrüstung an der Front in der Ostukraine. Zuvor war B. nach Informationen des t-online-Rechercheverbunds aktives Mitglied der neonazistischen Splitterpartei „Der Dritte Weg“. In einem mittlerweile gelöschten Telegram-Post bezeichnete er Putin als „roten Zaren“ und „Feind aller freien Völker Europas“.
Ein anderer Fall ist „Stephan“ aus Solingen, der in einem Interview sagte:
> „Ich bin kein Putin-Fanboy wie viele Rechte hier. Russland ist für mich der alte Feind – bolschewistisch, korrupt, antiweiß.“
> Diese Aussage illustriert die tiefen ideologischen Widersprüche innerhalb der rechtsextremen Szene.
Putin als Feindbild: Alte und neue Ideologien
Rückgriff auf den Antibolschewismus
Ein zentrales ideologisches Motiv für den Kampf gegen Russland ist ein tief verwurzelter Antibolschewismus, der bis in die 1920er Jahre zurückreicht. Viele Neonazis deuten Putins Russland als Erbe der Sowjetunion – als autoritären, korrupten, „asiatischen“ Staat, der die europäische „Reinheit“ gefährde. Dabei spielt weniger Putins tatsächliche Politik eine Rolle als vielmehr historische Mythen und rassistische Narrative.
So erklärt der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent:
„Für einige Gruppen gilt Russland trotz seiner autoritären Führung als degenerierter Staat mit slawischer Untermenschlichkeit. Der ideologische Überbau ist klar rassistisch motiviert.“
Nationalistische Projektionsflächen in der Ukraine
Im Gegensatz dazu wird die Ukraine als Symbol nationaler Selbstbestimmung, ethnischer Reinheit und militärischer Tapferkeit verherrlicht – trotz des Umstands, dass das Land eine pluralistische Demokratie anstrebt. Neonazis fantasieren den Krieg als europäischen „Abwehrkampf“ gegen östliche Zersetzungskräfte. Dabei greifen sie auf NS-Rhetorik zurück, sprechen von einem „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ – ein Zitat, das auch auf Telegram häufig auftaucht.
Wie rekrutiert sich das rechtsextreme Frontpersonal?
Telegram, Instagram und Szene-Foren
Die Rekrutierung rechtsextremer Kämpfer für die Ukraine läuft hauptsächlich über soziale Netzwerke. Auf Telegram kursieren Anleitungen für den Eintritt in das DFK, inklusive Packlisten, Kontakten zu ukrainischen Mittelsmännern und ideologischer Einstimmung. Eine Untersuchung des Recherchezentrums „Correctiv“ zeigt, dass auch Instagram-Profile genutzt werden, auf denen sich Kämpfer mit Waffen, Uniformen und rechten Symbolen präsentieren.
Ein Beispiel: Ein User mit dem Alias „Kamerad\_Brandenburg“ postete Bilder vom Schützengraben mit den Hashtags #Antibolschewismus und #WhiteResist. Auch Verweise auf Carl Schmitt, Ernst Jünger und die Waffen-SS sind keine Seltenheit.
Verbindungen zur Szene in Deutschland
Viele der Freiwilligen sind oder waren Teil etablierter rechtsextremer Organisationen wie „Der III. Weg“, „Die Rechte“ oder der Identitären Bewegung. Einige wurden bereits vom Verfassungsschutz beobachtet. Ein ehemaliges DFK-Mitglied schilderte in einem anonymisierten Interview:
„Ich war vorher bei der IB in Halle aktiv. Über einen alten Kameraden bin ich an die Kontakte gekommen. Der Rest lief über Telegram.“
Reaktionen deutscher Sicherheitsbehörden
Gefährdung durch Rückkehrer
Der Verfassungsschutz warnt: Rückkehrende Neonazis mit Kampferfahrung könnten eine „erhöhte terroristische Gefährdungslage“ darstellen. Sie verfügen über militärisches Know-how, radikale Netzwerke und ein verstärktes Gewaltpotenzial. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat nach eigenen Angaben mehrere Dutzend solcher Personen im Blick.
Ein Sprecher der Innenministerkonferenz sagte gegenüber der Presse:
„Diese Kämpfer sind nicht einfach nur abenteuerlustige Idealisten. Es handelt sich um ideologisch gefestigte Extremisten mit Waffenkenntnissen. Eine latente Gefahr für den inneren Frieden.“
Juristische Grauzonen
Der Eintritt in ausländische Freiwilligenverbände ist in Deutschland nicht grundsätzlich strafbar – solange es sich nicht um terroristische Organisationen handelt. Das DFK bewegt sich dabei in einer Grauzone. Einige Angehörige könnten sich dennoch strafbar gemacht haben, etwa durch Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder durch die Verherrlichung nationalsozialistischer Inhalte.
Ein europäisches Phänomen?
Internationale Vernetzung
Nicht nur deutsche Neonazis kämpfen auf Seiten der Ukraine. Auch aus Frankreich, Italien, Schweden und den USA haben sich Rechtsextreme dem „Widerstand gegen Russland“ angeschlossen. Dabei bestehen enge Verbindungen zur Asow-Brigade, einer ukrainischen Miliz mit dokumentierten rechtsextremen Ursprüngen.
So schreibt der britische Journalist James Montague in seinem Buch „Ultras“:
„Asow ist längst ein Symbol geworden – nicht nur für ukrainischen Nationalismus, sondern auch für globale rechte Militanz.“
Widerspruch mit System
Der Kampf deutscher Neonazis gegen Putin ist kein bloßer Widerspruch, sondern Ausdruck einer komplexen ideologischen Gemengelage. Während ein Teil der Rechten Putin als autoritären Antiwestler verehrt, sehen andere in ihm den historischen Erbfeind – bolschewistisch, asiatisch, dekadent.
In beiden Fällen offenbart sich jedoch eine gefährliche Nähe zur Gewalt, ein Hang zu autoritären Fantasien und die Bereitschaft, diese mit Waffen durchzusetzen. Der Krieg in der Ukraine fungiert dabei als Projektionsfläche für unterschiedlichste radikale Überzeugungen – vom Antikommunismus bis zur völkischen Utopie.
Ausblick: Was tun mit den Rückkehrern?
Sicherheitsbehörden stehen vor einer schwierigen Aufgabe: Sie müssen zwischen tatsächlicher Terrorgefahr und abklingendem Aktionismus unterscheiden. Gleichzeitig braucht es ein stärkeres internationales Monitoring rechtsextremer Bewegungen, die sich über Ländergrenzen hinweg militärisch formieren.
Auch die Frage der juristischen Verfolgung bleibt offen. Klar ist jedoch: Der Krieg gegen Putin hat eine neue Radikalisierungswelle ausgelöst – nicht nur im Osten Europas, sondern auch in deutschen Wohnzimmern, auf Smartphones und schließlich auf den Schlachtfeldern der Ukraine.